Mittwoch, 1. Januar 2014

Aufbruch in die Metropole

Wie sich durch die Hauptstadtdebatte die Republik veränderte

Vor 20 Jahren wurde der Umzug der Bundeshauptstadt in das einst geteilte Berlin beschlossen. In der Debatte darum ließen sich schon damals erste Konturen einer neuen Republik erkennen.

Blick auf den Berliner Fernsehturm hinter dem Roten Rathaus. 
  
Von Bonn nach Berlin

Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth verkündet das Ergebnis der Abstimmung über Deutschlands Hauptstadt: 337:320 Stimmen zugunsten Berlins. Blick in den Bundestag im Bonner Wasserwerk am 20. Juni 1991. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00046742, Foto: Arne Schambeck)

Es wirkt schon skurril, das ehemalige Regierungsviertel am Rheinufer südlich der Bonner Innenstadt. Es ist heute kaum vorstellbar, dass noch vor etwas mehr als einem Jahrzehnt die Machtzentrale eines der wirtschaftsstärksten Staaten der Erde hier ihren Sitz hatte. Selbst jene, die einst noch im Bonner Bundeshaus oder in diversen Ministerien saßen, scheinen den Gedanken geradezu absurd zu finden, Deutschland könnte heute noch von diesem beschaulichen Flecken aus regiert werden. 20 Jahre ist es dieser Tage her, dass der Bundestag im alten Bonner Wasserwerk den Beschluss fasste, den Sitz von Parlament und Regierung nach Berlin zu verlegen. Aus diesem Anlass entdecken auch die Medien die Bundesstadt am Rhein wieder, stellen diese jedoch eher als ein liebens-, aber bemitleidenswertes Kuriosum längst vergangener deutscher Geschichte dar. Die Abgeordneten, die seinerzeit für Bonn stimmten, werden nun erneut ins mediale Rampenlicht gezerrt, wo sie glaubhaft beteuern, sich damals geirrt zu haben und wie faszinierend die Metropole Berlin doch sei.


Blick auf das Reichstagsgebäude in Berlin, Sitz des Deutschen Bundestages. Foto von 1999. (© Bundesregierung, B145 Bild-00101439, Foto: Bernd Kühler)

Doch so selbstverständlich Berlin heute als Hauptstadt erscheint, so erklärungsbedürftig ist immer noch die Frage, weshalb in jener spektakulären Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1991 nur eine knappe Mehrheit von 18 Stimmen den Ausschlag für Berlin gab. Die Emotionalität der Debatte von einst scheint heute kaum noch nachvollziehbar. Möglicherweise besaß der Streit um den Regierungssitz jedoch eine tiefer liegende Bedeutung, war vielleicht sogar das entscheidende Vorspiel im Kampf um die Diskurshoheit in der Republik. Zudem muss der Debatte aus ostdeutscher Perspektive gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Auseinandersetzung um Bonn oder Berlin kann im Nachhinein als Vorbote eines Paradigmenwechsels von der Bonner zur Berliner Republik gedeutet werden. Dabei kommt der Hauptstadtfrage, den Städten selbst, ein symbolischer Bedeutungsgehalt zu, der auf Kontinuität der alten Bundesrepublik oder auf eine grundlegende Erneuerung der politischen Agenda einer Berliner Republik setzt.

Bonn und Berlin:
Symbolkraft zweier deutscher Hauptstädte bis 1989

Regierungsviertel in Bonn: vorn der Bundestag, im Hintergrund das Abgeordnetenhochhaus "Langer Eugen", 1987. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00160090, Foto: Arne Schambeck)

Bonn war zu allererst ein Provisorium. Kaum einer der Politiker, die am Rhein arbeiteten oder regierten, gab der Stadt das Gefühl, mehr zu sein als eine Übergangs-, bestenfalls eine Notlösung. Trotz dieser Wahrnehmung besaß Bonn seit Gründung der Bundesrepublik auch einen spezifischen Symbolcharakter. Die Wahl Bonns als provisorische Hauptstadt sollte für eine historische Umkehr in der deutschen Geschichte stehen. Die Stadt signalisierte in Konrad Adenauers Kalkül nach innen, aber noch mehr über die Landesgrenzen hinaus, dass die Bundesrepublik ein bescheidener, föderaler Staat sei, der auf Machtinsignien und repräsentative Darstellung von Größe bewusst verzichte. Bonn war das Symbol zur Herstellung von Vertrauen in Deutschland innerhalb der westlichen Welt. Es kontrastierte damit mit Berlin, das in jenen Jahren vor allem im Ausland vielfach mit Preußentum, Militarismus, Nazismus und Zentralismus identifiziert wurde.[2] Dennoch blieb die geteilte Stadt lange Zeit für viele Deutsche ein zentraler Orientierungspunkt und Symbol der Freiheit im Kalten Krieg. Gerade der spätere Bundeskanzler Willy Brandt wurde nicht müde, Berlin fortwährend zur rechtmäßigen Hauptstadt zu erklären.[3] Bis in die 1960er-Jahre hinein wurde der Provisoriums-Charakter Bonns gegenüber Berlin unaufhörlich betont, eine umfassende Hauptstadtplanung fortwährend vertagt.
Blick auf das Berliner Reichstagsgebäude von der Westseite des Brandenburger Tores, um 1962. (© Ullsteinbild, Foto: Herbert Maschke)

Andererseits wurde mit dem Bau der Mauer in Berlin die deutsche Teilung zementiert. Die Westdeutschen arrangierten sich allmählich mit Bonn. Das Provisorium erweiterte seine Qualitäten. Bonn stand nun auch für das Wirtschaftswunder, einen funktionierenden Sozialstaat und eine stabile Demokratie, die so viel Flexibilität aufwies, Protestbewegungen zu integrieren. Die alte Bundesrepublik galt alsbald als international geachtetes Erfolgsmodell. Berlin hingegen rückte allmählich aus dem Fokus der Westdeutschen. Besonders Helmut Kohl förderte die Stadt Bonn in den 1980er-Jahren nachhaltig und zog die Bundespräsenz als Zeichen der Entspannung an die SED-Führung immer mehr aus Berlin ab.[5] In der alten Bundesrepublik begann in jenen Jahren ein intensiver Selbstverortungsprozess. Die Debatten um Bitburg, der Historikerstreit oder die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 deuten darauf hin, dass der Referenzpunkt der alten Bundesrepublik zwar im Erfahrungsraum von 1933/45 verharrte, dass jedoch 1945/49 als Beginn einer neuen, westdeutschen Erfolgsstory zu werten sei. Die BRD schien zu ihrem 40. Jahrestag selbstgenügsam geworden zu sein und suchte nach einer eigenen Position in der deutschen Geschichte.


 Transparent einer Kundgebung in Berlin, 9. Dezember 1989. (© Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr. DG 90/6408.1.)

Die DDR rückte in der Spätphase der Bonner Republik aus dem Blickfeld. Eine Vereinigung beider Staaten schien zu Ende der 1980er-Jahre nicht nur unmöglich, sondern auch nicht unbedingt gewollt.[7] In der DDR zeigte sich hingegen ein ambivalentes Bild, was die Städtefrage anging: Berlin, das Schaufenster zum Westen, galt als überaus unbeliebt, da die Kapitale Infrastruktur, Waren und Ressourcen an sich zog, die im übrigen Land fehlten.[8] Dennoch war auch aus Sicht der meisten Oppositionellen Berlin die "natürliche" Hauptstadt des Staates, in welcher auch die Regierung einer demokratisierten DDR Platz nehmen würde. Mit der Stadt Bonn hingegen verbanden die Bürgerinnen und Bürger der DDR nichts. Sie blieb auch nach der Einheit für die meisten Ostdeutschen die Hauptstadt eines anderen, gleichwohl demokratisch vorbildlichen Staates. Im Dezember 1989 wurde auf einer Montagsdemonstration in Ost-Berlin ein Transparent empor gehalten, das in schwarz-rot-goldener Farbe die Fläche des vereinigten Deutschlands zeigt. Die Stadt Berlin ist darauf in Form eines Herzens markiert.[9] Berlin erschien in der DDR als das logische Zentrum eines wiedervereinigten Deutschlands. Ins Herz geschlossen hatten viele Ostdeutsche die Stadt wohl auch nach dem 3. Oktober 1990 nicht, aber es wurde von vielen wie selbstverständlich erwartet, dass eine gleichberechtigte Vereinigung stattfinden würde und die Bundesrepublik nicht nahtlos an ihre Traditionen der rheinischen Republik anknüpfen könne. Eine Hauptstadt Berlin galt im Osten als ein Zeichen westdeutschen Entgegenkommens. Doch eben dies sahen viele westdeutsche Besitzstandswahrer anders.

Quelle:
http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/20-jahre-hauptstadtbeschluss/39728/aufbruch-in-die-metropole

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...